Krieg und Frieden sind ein Konstrukt unserer Gedanken

15.05.2024

DER GEDANKE IST DIE TREIBENDE KRAFT im Menschen. Er steht hinter unseren Emotionen und kann sie sogar kontrollieren. Obwohl sich manchmal ein Gedanke aus einem Gefühl entwickelt, glaube ich, dass auf einer höheren Ebene beide eins sind. (Prof. Dr. Gottfried von Purucker)

Die Welt, in der wir leben, ist eine Welt denkender und fühlender Menschen. Wenn die Welt schlecht ist, dann deshalb, weil unsere Gedanken und Gefühle sie so gemacht haben.

Wenn die menschlichen Verhältnisse unharmonisch, zuweilen sogar diabolisch sind, und wenn anstelle von Vernunft und Recht nackte Gewalt regiert, dann ist es so, weil unsere Gedanken sie so gemacht haben.

Ideen kontrollieren Handlungen. In ihnen muss man die Ursache sehen für die Unruhe in der Welt, in der wir leben, und natürlich auch das Heilmittel.

Wenn sich jemand ändern will, muss er vor allem damit anfangen, seine Gedanken zu ändern. Als Folge davon wird er beständig in einer neuen Weise fühlen. Das ist der einzig dauerhafte Weg, denn er bewirkt eine Veränderung des Charakters. Wenn Sie einen Streit verhüten wollen, müssen Sie Maßnahmen ergreifen, bevor der Streit sich ankündigt. Wenn Sie versuchen, sich in einen Streit zwischen zwei Personen einzumischen, werden Sie wahrscheinlich nicht nur sich selbst verletzen, sondern es werden drei statt zwei streiten. Sie können keinesfalls einen Streit beenden, indem Sie den Streitenden Vorhaltungen machen. Wenn Sie so verfahren, begegnen Sie den Menschen nicht auf der Ebene, wo sie ansprechbar sind, Sie haben sie nicht verändert und nicht an ihr Denken und an ihre Gefühle appelliert. Bestenfalls haben Sie Beruhigungsmittel verabreicht.

Lassen Sie sie erkennen, dass sie noch etwas schlechter als Tiere handeln, wenn sie streiten, denn die Tiere haben weder unseren Verstand noch unsere Vernunft. Appellieren Sie mit Ideen und erwecken Sie Gedanken. Erfüllen Sie ihr Bewusstsein mit neuen Gedanken und neuen Gefühlen. Dann werden sie anfangen zu verstehen, dass man einen Streit nicht durch rohe Gewalt entscheiden kann, denn das würde ganz einfach bedeuten, dass derjenige, der den Kürzeren gezogen hat, nur seine Zeit abwartet, um herauszufinden, ob er den anderen mit brutaler Gewalt übertrumpfen kann. 

Die Menschen müssen somit begreifen, dass sich Kriege nicht verhindern lassen, indem man Kriege führt, um sie zu verhindern. Das gelang nie und wird auch nie gelingen, denn es ist eine falsche Psychologie und ebenso töricht.

Jede Zivilisation wird aus Gedanken erbaut. Wenn Sie innerhalb einer Zivilisation eine Änderung bewirken wollen, müssen Sie versuchen, die bisher akzeptierten Gedanken durch neue zu ersetzen. 

Was ist eine Erfindung? Gedanken. Was sind Literatur, Philosophie, Religion und Wissenschaft? Gedanken. Was ist das Fundament der Sozialstruktur, in der wir leben? Gedanken. 

Jede Bewegung in der heutigen Welt beruht auf Gedanken, seien diese sozialer, politischer, philosophischer, religiöser oder wissenschaftlicher Natur. Neun von zehn dieser Bewegungen entstanden im Kopf eines einzigen Menschen und breiteten sich aus. Sie sehen es in den Blättern der Geschichte, welch verheerende, katastrophale Auswirkungen Gedanken haben können. 

Was ist Krieg? Er ist nicht nur das Resultat von Gedanken, er ist der Gedanke selbst. 

Wegen Ideen, wegen Gedanken kämpfen die Menschen. Wenn wir einen neuen Weltkrieg verhindern wollen, müssen wir vor seinem Ausbruch damit beginnen, der Welt eine neue Gedankenrichtung zu geben.

Weil diese Wahrheiten so einfach sind, gehen sie an uns vorüber, berühren sie uns kaum, und niemand denkt über sie nach.

Doch es sind die Ideen, die die Welt erschüttern. Es sind die Ideen, die die Welt erschaffen. Es sind die Ideen, die die Menschen vernichten und ihre Welt zerstören. Studieren Sie die Annalen der Geschichte. Beobachten Sie die erstaunlichen Resultate von Bewegungen, die anfangs vielleicht nur mit einer Handvoll entschlossener Leute begannen. Jahrelang arbeiten, predigen und wirken sie scheinbar ohne Erfolg. Dann, auf einmal, aus irgendeinem bemerkenswerten Grund, zündet die Idee und breitet sich wie eine Feuersbrunst aus. Manchmal nahmen Ideen die Menschen auf höchst erstaunliche Weise gefangen. 

Wie war das mit den Kreuzzügen, als die Menschen Heim, Herd, Wohnstätte und alles, was ihnen teuer war, verließen, um in einem fremden, weit entfernten und unbekannten Land gegen Andersgläubige zu kämpfen? Zehntausende von Menschen aus ganz Europa strömten zur Verwirklichung einer Idee zusammen. Noch bemerkenswerter war, dass diese merkwürdige und das Denken lähmende Idee sich sogar der Gedanken und der Einbildungskraft kleiner Kinder bemächtigte.

Erinnern Sie sich an den Kinderkreuzzug? (im Jahre 1212 unserer Zeit)

Kinder aus Deutschland, aus dem jetzigen Belgien, aus Holland, Frankreich, der Schweiz, machten sich plötzlich auf den Weg nach Südfrankreich und Italien, Jungen und Mädchen, von den tapsigen Kleinsten bis hin zu Dreizehn- und Vierzehnjährigen, rannten auf die Straßen und rotteten sich zu Tausenden zusammen, bis die Heerstraßen von ihren trippelnden Füßen schwarz waren. Sie wanderten Hunderte von Meilen, starben unterwegs zu Tausenden oder wurden von menschlichen Ungeheuern, die sich an ihnen bereicherten, aufs schrecklichste misshandelt. Niemand weiß, wie diese Idee entstand. Plötzlich setzten es sich die Kinder dieser verschiedenen Länder in den Kopf: "Wir wollen kämpfen und das Heilige Grab befreien." Stellen Sie sich Kinder vor, die solche Reden führen!

Natürlich übernahmen sie diese von ihren Eltern.

Aber beachten Sie auch das psychologische Moment. Es erfasste jedes Heim und entführte mindestens ein oder mehrere Kinder aus jeder Familie. Die Mütter und Väter konnten sie nicht aufhalten. Sie stahlen sich einfach in der Nacht davon. Sie benützten Nebenwege und abgelegene Pfade, um die großen Heerstraßen zu erreichen und dann gingen diese Banden hilfloser Kinder einfach südwärts, immer weiter nach Süden! Und das alles, wegen einer Idee, eines Gedankens!

Welche Rolle spielte weiterhin die Idee, die der bemerkenswerten Tarantella zu Grunde liegt und so hervorragend von spanischen und italienischen Historikern, besonders von letzteren, beschrieben wurde?

Plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, überkam Männer und Frauen die Idee, dass sie tanzen müssten. Und so tanzten sie, tanzten und tanzten, bis sie am Ende bewusstlos, vollkommen erschöpft, zu Boden stürzten. Sie konnten einfach mit dem Singen und Tanzen nicht aufhören, weder der einzelne, die Gruppe, noch die Bevölkerung ganzer Landstriche und Distrikte. Die Ursache dafür war ein psychologisches Element, ein Gedanke, eine Idee.

Das gleiche ungesunde psychologische Element beherrscht heutzutage das Gedankenleben der Menschen. Die Menschen haben sich in die Idee verrannt, dass es nicht möglich ist, einen neuen großen Krieg zu verhindern.

Sie glauben es allen Ernstes.

Das ist einer der Gründe, warum er auch ausbrechen wird, es sei denn, wir befleißigen uns eines gesünderen Gedankenlebens. Wodurch entsteht ein Krieg, wovon lebt er? Von Gedanken. Was verhindert einen Krieg? Unsere Gedanken, das heißt, eine Änderung im Gedankenleben der Menschen.

Indem man ihrem Gedankenleben eine andere Richtung gibt, würde man ihre Herzen, ihr Leben, ja, ihre Zivilisation verändern. Sollte ein Krieg kommen, dann allein nur deshalb, weil ihn die Menschen durch ihr Denken heraufbeschworen haben. Ihr Denken beeinflusst ihre Gefühle.

Diese wiederum wecken ihr Misstrauen und ihre Furcht. Aus bösem Denken entstehen weitere böse Gedanken. Aber Feuer lässt sich nicht mit Feuer löschen. Genauso wenig können Sie einen Krieg durch Krieg verhindern. Dies ist so einfach wie das ABC.

Dennoch erlauben wir solchen Gedanken, unsere Köpfe zu umschwirren.

Wir haben uns bereits so an sie gewöhnt, dass wir ihnen keine Aufmerksamkeit mehr schenken, und doch liegt in ihnen das Geheimnis von allem Guten und allem Schlechten. Das Leben eines Menschen kann sich durch seine Gedanken zu Erhabenem verändern, aber genauso sicher kann der Mensch durch sein Denken zur Hölle fahren oder am Galgen enden. Die Gedanken bestimmen, ob ein Mensch ein Gentleman oder ein Flegel ist. Die Gedanken sind es, die den Mutigen oder den Feigling machen. Aus Gedanken werden Vergebung oder fortdauernder Haß geboren.

Aus diesen Gründen wurde die Theosophische Gesellschaft ins Leben gerufen, um zu versuchen, das Denken der Menschen auf weitaus bessere und höhere Dinge auszurichten und in ihren Seelen inspirierende und wohlwollende Ideen zu wecken.

Warum gehen nicht alle Theosophen mit ihrem Essenskorb zu den Hungernden? Warum sitzen sie nicht an den Betten der Kranken und Sterbenden? Viele von uns tun dies und haben es getan. Aber unsere Hauptaufgabe im Leben ist der Versuch, die Armut zu beseitigen, anstatt an den Nöten der Armen Flickwerk zu leisten.

Das wird nach und nach erreicht werden durch eine Veränderung der Gedanken der Menschen, so dass unsere Zivilisation erleuchtet wird.

Danach streben wir unter anderen edlen Zielen. Keine andere Aufgabe ist weitreichender als diese. Sie geht mehr an die Wurzeln der Dinge als nur Pflaster und Salben auf eiternde Wunden aufzutragen. Auf einer noch höheren Ebene besteht unsere Aufgabe darin, den Menschen zu zeigen, welche Kräfte, welche Möglichkeiten und welche Fähigkeiten in ihnen liegen, von denen sich der heutige Durchschnittsmensch keine Vorstellung macht. Aber sie sind da.

Die titanischen Intelligenzen, die größten Menschen, die jemals lebten, haben gezeigt, wozu der menschliche Geist fähig ist. Jeder normale Mensch trägt dieselben Möglichkeiten in sich.

Ein Teil der Tätigkeit der Theosophischen Gesellschaft besteht darin, den Glauben daran wiederzuerwecken, denn als Folge davon werden die Menschen sich danach sehnen, sich von innen her zu veredeln; das, was innen ist, zu wecken und zu versuchen, größer und erhabener zu werden.

In was für einer Welt würden wir dann leben!

Bewirken kann dies allein ein entsprechendes Denken und ein daraus resultierendes Empfinden.

Dann wird wahrlich der Christus, der in uns an jedem Tag unseres Lebens gekreuzigt wird, von seinem Kreuz, unserem Körper, herabsteigen, in unseren Verstand Einzug halten und nicht nur unser Leben erleuchten, sondern auch unser Verhalten gegenüber unseren Brüdern reformieren. Wenn man die Menschen bewegen könnte, allein diesen einzigen Gedanken zu erfassen und innerlich als wahr zu begreifen, würde eine universale "Bekehrung" - "eine Kehrtwendung", ein Verändern - unserer Gemüter und Herzen zum inneren, lebenden Christus, zum lebenden Buddha hin, bewirkt werden!

SCHLUSSENDLICH, DENKEN SIE AN DIE REGEL, die Pythagoras aufstellte.

Sie wurde immer wieder zitiert, aber sie verliert durch die Wiederholung nichts von ihrer Schönheit und ihrer Tiefe.

Sie lautet ungefähr so:

"Lasse die Sonne nicht den westlichen Horizont erreichen, noch schließe Deine Augen zum Schlaf, ehe Du nicht alle Ereignisse des eben vergangenen Tages überdacht und Dir folgende Fragen gestellt hast:

  • Was habe ich heute getan, das gut war? 
  • Was habe ich heute getan, das schlecht war? 
  • Habe ich jemanden verletzt? 
  • Habe ich meine Pflicht versäumt? 

Lasse die untergehende Sonne nicht den westlichen Horizont erreichen, noch schließe die Augen zum Schlaf, ehe Du Dir nicht diese Fragen gestellt hast"

Wenn die Menschen nur diese einfache Regel bewusst befolgten, würden neunundneunzig Prozent der Sorgen der Welt, des Leidens der Herzen, der Sünde und Angst nicht existieren, sie würden gar nicht erst entstehen. Der Grund dafür ist einfach. Die Kümmernisse der Welt entstehen aus unserer Schwäche, nicht aus unserer Stärke; und wenn wir unsere Stärke vergrößern und unsere Schwächen beseitigen würden, dann würde danach jeder Mensch, entsprechend seiner inneren Entwicklung, zu einer Kraft des Guten in der Welt werden. Und Sie erkennen, was dies bedeuten würde. Die meisten Gedanken, Gefühle und Handlungen, die uns das Elend bringen, würden dadurch direkt an ihrer Pfahlwurzel abgeschnitten.  

(Auszug aus dem Buch: 'Wind des `Geistes', von Prof. Dr. Gottfried von Purucker, 1874 - 1942)


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