
Einführung in die theosophische Schöpfungslehre: Vom Geist zur Materie und zurück.
1. Einleitung: Was ist Theosophie und wie nähert man sich ihr?
«Keine Religion ist höher als die Wahrheit. «— H. P. Blavatsky
Die Theosophie ist keine neue Religion, sondern eine uralte Weisheitslehre.
Der Name selbst, aus dem Griechischen stammend, bedeutet "Göttliche Weisheit" (Theos = Göttlich/Gott, Sophia = Weisheit) und verweist auf einen Kern universeller Wahrheiten, der allen großen Religionen und Philosophien zugrunde liegt.
Sie postuliert keine Vorstellung von einem persönlichen Schöpfergott. Stattdessen betrachtet sie das Universum als einen Ausdruck einer ewigen, unveränderlichen Wirklichkeit, das sich nach einem göttlich-intelligenten Plan entfaltet, geleitet und bewegt wird, von innen nach außen.
Diese Lehren sind durch und durch ethisch, und man muss erkennen, dass sich die Ethik wie ein goldener Faden durch das gesamte Gedankengebäude dieser Philosophie zieht.
Damit Sie das tiefere Wesen dieser Lehren erfassen können, möchte ich Ihnen drei Schlüssel an die Hand geben, die den Zugang erleichtern:
- Mit der Intuition verstehen: Der Verstand ist ein wertvolles Werkzeug, doch die tiefsten Wahrheiten werden oft intuitiv, mit dem "Herzen", erfasst. Versuchen Sie, weniger die einzelnen Worte zu analysieren, sondern vielmehr den "Geist hinter den Worten" aufzunehmen.
- Gesetzmäßigkeiten erkennen: Bei den vorgestellten Konzepten handelt es sich nicht um Glaubenssätze, sondern um universale Naturgesetze. Es geht darum, die Logik und Harmonie dieser Prinzipien zu erkennen, so wie man die Gesetze der Physik oder Mathematik studiert.
- Worte als Symbole sehen: Die Sprache ist oft unzureichend, um rein geistige Realitäten zu beschreiben. Betrachten Sie die verwendeten Begriffe daher als Symbole und Ausdrucksformen, die auf tiefere Wahrheiten hinweisen, die jenseits der Worte liegen.
Lassen Sie uns nun gemeinsam den ersten fundamentalen Gedanken der theosophischen Schöpfungslehre erkunden: die unsichtbare Idee, die unserer sichtbaren Welt zugrunde liegt.
2. Der Ursprung allen Seins: Die Welt als Idee
Die physische Welt, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen – die Berge, die Meere, unser eigener Körper – ist nicht die endgültige Realität. Sie ist vielmehr ein Spiegelbild, ein Schatten einer höheren, geistigen Wirklichkeit.
Um dieses Konzept zu veranschaulichen, nutzte bereits der antike Philosoph Platon ein eindrucksvolles Bild: das Höhlengleichnis. (s. Video über den Link)
Stellen Sie sich Menschen vor, die von Geburt an in einer Höhle gefesselt sind. Sie können nur auf eine Felswand vor sich blicken. Hinter ihnen brennt ein Feuer, und zwischen dem Feuer und den Gefangenen werden Gegenstände vorbeigetragen. Die Gefangenen sehen nur die Schatten dieser Gegenstände, die das Feuer an die Wand wirft. Da sie nie etwas anderes gesehen haben, halten sie diese flackernden Schatten für die einzige, wahre Realität. Wenn nun einer dieser Menschen befreit würde und die echten Gegenstände und schließlich das Licht der Sonne außerhalb der Höhle erblicken könnte, würde er die Wahrheit erkennen: Seine bisherige Welt war nur ein unvollkommenes Abbild.
Im Kontext der Theosophie bedeutet dies: Unsere sinnlich wahrnehmbaren Dinge sind wie die Schatten in der Höhle – unvollkommene und daher fragwürdige Abbilder von vollkommenen, ewigen geistigen "Ideen".
Die Lehre geht sogar noch tiefer: Viele der Dinge, die wir für real halten, etwa Kunstprodukte, sind lediglich Abbilder von Abbildern – künstliche Nachahmungen der Natur, die selbst schon nur ein Abbild der geistigen Idee ist.
Wir leben somit oft in einer Welt, die um mehrere Stufen von der wahren Wirklichkeit entfernt ist.
Was steht also hinter der Schöpfung? Die theosophische Antwort lautet: eine rein geistige, universale Ideation (Ideenbildung). Das gesamte Universum existierte zuerst als vollkommener, geistiger Plan, bevor es sich in der Materie manifestierte.
Doch wie wird aus dieser abstrakten, geistigen Idee die konkrete, materielle Welt, die wir kennen? Dieser Prozess folgt einem klaren Prinzip, dem Schöpfungsprinzip.
3. Der Schöpfungsprozess: Wie die Idee FORM annimmt
Der kosmische Schöpfungsprozess lässt sich gut mit der Arbeit eines Architekten vergleichen. Bevor ein Haus gebaut wird, existiert es als Idee, wird zu einem Plan und erst dann zur materiellen Realität.

Die moderne Physik scheint diesen Vorrang des Geistes vor der Materie zu bestätigen. So wird dem renommierten Physiker und Nobelpreisträger Max Planck ein bemerkenswerter Schluss zugeschrieben:
Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigen Sonnensystem des Atoms zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente noch eine ewige Kraft gibt, so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen.
Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie.
Jener gesamte Prozess, vom Geist bis zur Materie, ist nicht willkürlich. Er folgt unveränderlichen, universalen Gesetzen – den Spielregeln des Kosmos.
4. Die universellen Spielregeln: Die Sieben Hermetischen Prinzipien
Die Schöpfung und das gesamte Leben im Universum laufen nach festen, ewigen und universal gültigen Gesetzmäßigkeiten ab. Diese sind seit alters her als die Sieben Hermetischen Prinzipien bekannt.
Das Wort "hermetisch" bedeutet hierbei in sich abgeschlossen, verschlossen, unveränderbar und ewiglich. Für einen ersten Einstieg sind die folgenden drei von grundlegender Bedeutung:
1. Prinzip: "Geistigkeit" (Alles ist Geist)
Kernidee:
Das gesamte Universum ist eine geistige Schöpfung, eine Manifestation des kosmischen Bewusstseins. Alles, was existiert, ist in seinem Ursprung Geist.
2. Prinzip: "Entsprechung" (Wie oben, so unten)Kernidee:
Es gibt eine Analogie zwischen den Gesetzen und Erscheinungen auf den verschiedenen Ebenen des Seins. Das Universum im Großen (Makrokosmos) spiegelt sich im Menschen im Kleinen (Mikrokosmos) wider.
Was das für Sie bedeutet:Indem Sie sich selbst verstehen, können Sie die Prinzipien des Universums verstehen. Die Reise zur Erkenntnis der Welt beginnt mit der Reise in Ihr eigenes Inneres.
- Weil für die Evolution des menschlichen Lebens ganz besonders wichtig, soll nunmehr das fünfte und sechste Prinzip (Zwillings-Prinzip genannt) an dieser Stelle folgen, und die übrigen drei Prinzipien: Schwingung, Polarität und Geschlecht, werden nur erwähnt, weil sie schlussendlich die Schöpfungs-Prinzipien komplettieren und die gesamte Dynamik des Universums im Detail beschreiben.
5. Prinzip: "Rhythmus" (Reinkarnation) Kernidee:
Alles Leben, alles Werden, unterliegt den zyklischen Rhythmen von Kommen und Gehen; Ebbe & Flut, Tag & Nacht, Einatmen & Ausatmen, Blühen & Verblühen, Geburt & Tod. Wobei letzteres lediglich der Übergang in eine neue Daseinsform ist, weil das Geist-Bewusstsein & deren jeweilige Ausdrucksformen sich in einer kausalen Kette stets weiter und höher entwickeln.
6. Prinzip: "Ursache und Wirkung" (Karma)Kernidee:
Jede Ursache hat ihre Wirkung; jede Wirkung hat ihre Ursache. Alles folgt einem lückenlosen Gesetz der Harmonie und Ordnung.
Was das für Sie bedeutet:Sie sind der Schöpfer Ihres eigenen Schicksals. Ihre heutigen Handlungen, Gefühle und Gedanken sind die Ursachen, die Ihre Zukunft bestimmen werden. Der sogenannte Zufall ist lediglich ein Begriff für ein unverstandenes Prinzip.
Doch welche Rolle spielt der Mensch in diesem großen kosmischen Plan, der von diesen Prinzipien geleitet wird?
5. Die menschliche Reise: Evolution des Bewusstseins
Der Mensch ist nach theosophischer Lehre ein unsterbliches, spirituelles Wesen – ein "göttlicher Genius" oder "höheres Selbst" –, das einen physischen Körper als Werkzeug für seine Entwicklung nutzt. Der Tod ist dabei nicht das Ende, sondern lediglich ein Übergang in unendlich höheraufsteigenden Lebenszyklen.
Reinkarnation:
Jede Re/Inkarnation auf der Erde dient dazu, Erfahrungen zu sammeln und das immanente Potenzial des Geist-Bewusstseins schrittweise zu entfalten. Wir bringen die Früchte und Tendenzen vergangener Leben als Anlagen in ein neues Leben mit.
Das höhere und das niedere Selbst:
Der Mensch besteht aus einem "höheren Selbst", seinem wahren, essenziellen und unsterblichen Wesen, und einem "niederen Selbst". Dieses niedere Selbst ist lediglich ein Strahl oder Schatten des Höheren, sozusagen beschmutzt und verunreinigt, weil es von der Welt der tausendfachen Begierden und Illusionen angezogen wird. Das Ziel der menschlichen Evolution ist es, dass das höhere Selbst das niedere überwindet, läutert und vollständig absorbiert.
Die Bedeutung der Inkarnation:
Die Entfaltung des wahren, göttlichen Menschen kann nur während der Inkarnation, also im fleischlichen Körper, erfolgen. Auf den feinstofflichen Ebenen nach dem Tod werden die Erfahrungen verarbeitet und geläutert, doch der eigentliche Fortschritt, die bewusste Transformation, geschieht ausschließlich hier und jetzt im physischen Dasein.
Der Schlüssel zu diesem bewussten Prozess liegt in dem antiken Leitsatz, der über dem Apollon-Tempel in Delphi stand:
Erkenne dich selbst."
Diese Aufforderung geht über bloße Introspektion hinaus.
Sie bedeutet: "Erkenne das universale Prinzip in dir."
Selbsterkenntnis heißt, die kosmischen Gesetze im eigenen Wesen zu entdecken und bewusst am eigenen evolutionären Aufstieg zu arbeiten, anstatt passiv von den Strömungen des Lebens getrieben zu werden.
Das Verständnis dieser Prinzipien verändert die Sicht auf das Leben fundamental. An die Stelle von Zufall, Angst und Sinnlosigkeit treten Gesetzmäßigkeit, Verantwortung und eine tiefe, Sinn stiftende Perspektive auf die eigene Rolle im Kosmos.
6. Zusammenfassung: Schöpfer der eigenen Wirklichkeit
Die theosophische Schöpfungslehre bietet ein umfassendes Modell zur Erklärung der Welt und des Platzes des Menschen darin. Die wichtigsten Erkenntnisse lassen sich in drei Punkten zusammenfassen:
- Das Universum ist eine bewusste, geistige Schöpfung, die nach einem universalen Plan und festen Gesetzen abläuft.
- Der Mensch ist ein unsterbliches, spirituelles Wesen auf einer langen evolutionären Reise durch viele Leben (Reinkarnation).
- Der Schlüssel zur spirituellen Entwicklung liegt in der Selbsterkenntnis und der bewussten Anwendung der universalen Prinzipien im täglichen Leben.
Wenn Sie diese Lehren verinnerlichen, erkennen Sie, dass Sie "Ihres eigenen Glückes Schmied" sind. Jeder Gedanke, geformt durch das Prinzip der Geistigkeit, jede Handlung, die dem Prinzip von Ursache und Wirkung unterliegt, ist ein Schlag mit einem Meißel an der Statue Ihres Schicksals.
Sie halten mit der Theosophia die Werkzeuge in der Hand, um Ihre Lebenswelten bewusst zu gestalten und Ihren inneren göttlichen Genius Schritt für Schritt zu entfalten. (f.h)
Carpe Diem – nutze den Tag.